OEMs folgen heute dem klassischen „Pipe“-Geschäftsmodell mit einer linearen Wertschöpfungskette: Werte werden in einem geschlossenen System mit klar definierten Abläufen „upstream“ generiert und „downstream“ konsumiert. Die Werte fließen durch die Wertschöpfungskette, wie Wasser durch ein Rohr (Pipe).
Die Komponenten, die im Fahrzeug verbaut werden – der sogenannte „Upstream“-Teil der Wertschöpfung –, stammen von einer großen Zahl hierarchisch organisierter Zulieferer (Tier 1 bis Tier n). Das fertige Produkt wird dann von tausenden Händlern, Importeuren und Logistikunternehmen zum Kunden gebracht („Downstream-Teil“). Diese lineare Wertschöpfungskette ist reguliert und weitgehend festgefügt. Die Verhandlungsmacht und die Anreizsysteme sind klar verteilt.
Im Unterschied dazu werden offene Ökosysteme von digitalen Plattformen[1] dominiert, in denen Wert vor allem durch die Interaktion im Netzwerk erzeugt wird (Value Network).[2] In den Netzwerken wird die Wertschöpfungsstruktur rekonfiguriert,[3] was Anreize für den Markteintritt neuer Akteure oder die Vorwärts-Integration von Zulieferern bietet.[4] Hierarchische Zulieferer-Strukturen werden damit aufgebrochen und durch ein dynamisches Netz aus „Prosumern“ – zugleich Produzenten und Konsumenten – von Daten ersetzt.
Plattform-Geschäftsmodelle tendieren zu hegemonialen Strukturen[5], da sie auf Netzwerkeffekten aufbauen, aus denen sie Verbreitung und Marktwert beziehen. Daher sind Plattform-Geschäftsmodelle so erfolgreich.[6] Drei der fünf wertvollsten Unternehmen der Welt nutzen Plattform-Geschäftsmodelle,[7] das gleiche gilt für 7 der 15 wertvollsten globalen Brands.[8] Apple, die Nr. 1, ist so wertvoll wie die acht größten Daxwerte (Bayer, VW, Daimler, Siemens, SAP, Telekom, BASF, Allianz) zusammen. Die Barmittel belaufen sich auf 178 Mrd. Dollar.[9] Damit könnte das Technologieunternehmen, das 70 Prozent seines Umsatzes mit nur einem Produkt erwirtschaftet, den Kauf breit diversifizierter Konzerne wie Daimler (Börsenwert 91 Mrd. Euro) oder VW (Börsenwert 94 Mrd.) aus seinen Barmitteln finanzieren.[10] Von Tesla Motors[11] (Marktwert ca. 25 Mrd. Dollar) ganz zu schweigen.
In Bezug auf das Wettbewerberportfolio aktueller Mobilitätsdienstleistungen lassen sich drei wesentliche Geschäftsmodelle unterscheiden:
* Produktgeschäft (Product Business Model)
* Produkt-/Dienstleistungsbündel (Hybrid Business Model)
* Reine Dienstleistung (Pure Digital Business Model)
Digitale Geschäftsmodelle („Assetless Platforms“) in Kombination mit Autonomen Fahrzeugen beinhalten das größte Disruptionspotential. Aber auch die Einführung von Open Innovation-Modellen[12], wie sie etwa Apple mit den unbestätigten Plänen für ein iCar[13] verfolgen könnte, birgt großes Potential für eine Veränderung der Spielregeln.
Beobachter trauen Apple bereits grundlegende Geschäftsmodell-Innovationen im Produktgeschäft zu.[14] Im Fokus wird nicht die Produktion von Autos stehen – diese Rolle werden Zulieferer[15] übernehmen (analog Foxconn beim iPhone) – sondern die User Experience. Um die Kundenerfahrung durchgehend sicherstellen zu können, erstrebt Apple bei allen Geräten die Kontrolle über die gesamte Versorgungskette.[16] Insofern wird Apple nicht nur Software und Hardware revolutionieren, sondern – ähnlich wie Tesla – auch die Einkaufs- und Serviceprozesse. Da Apple bereits über ein Flagship Store-Netzwerk in Großstädten verfügt, könnten die Fahrzeuge über diesen Kanal auch direkt vertrieben werden. Darüber hinaus wird Apple Produkte mit offenen Servicewelten verbinden. So wird die Digitalisierung, wie Audi-CEO Rupert Stadler es ausdrückt, „den Erlebensraum im Auto der Zukunft weit über die Karosseriegrenzen hinaus“ erweitern[17] und ganz neue Anwendungsmöglichkeiten schaffen.[18]
Da ca. 90 Prozent der Innovationen im Fahrzeug heute durch Software getrieben werden nicht durch Technik, bewegen sich alle Hersteller in Richtung von Bundled Services. Allerdings soll die Dienstleistung den Verkauf der Produkte ermöglichen – nicht umgekehrt.
Die Schätzungen über den Markt für Dienste um das vernetzte Fahrzeug rangieren – je nach Scope – von 50 bis 270 Mrd. Dollar im Jahr 2020. OEM wollen die Fehler anderer Branchen vermeiden, in denen Plattformanbieter mit sogenannten exponentiellen Technologien den Markt aufgerollt haben (Beispiel: Amazon, Ebay, Airbnb). Datenbasierte Dienste sind etwa kontextbasierte Werbung und Wegeoptimierung. Das Auto könnte – vermittels intelligenter Kartendienste und Algorithmen – zu einer Art Suchmaschine der realen Welt[19] werden, die aktiv auf kontextbasierte Angebote aufmerksam macht – mit interessanten indirekten Einnahmequellen. Ein Kerngebiet ist aber auch die Loyalisierung des Kunden im Aftersales, wo nach wie vor das meiste Geld verdient wird.
Zwar zeigt das Beispiel Google, dass Offenheit zu hoher Verbreitung beiträgt (Android hat einen Marktanteil von 70 Prozent), die perfekt abgestimmte und geschlossene Verbindung von Premiumprodukt und Ökosystem verspricht aber die höchsten Margen (Apple machte im letzten Quartal mit einem Rekordgewinne mehr Profit als Google Umsatz). Apple wird auch hier Geschäftsmodelle über den kompletten Lebenszyklus des Fahrzeugs entwickeln wollen (zum Beispiel sensorbasierte Gesundheitsüberwachung, Real Time Assistance), die den Kunden in einem möglichst großen Teil seines Lebens begleiten.[20]
Dass das reine Produktgeschäftsmodell in eine schwierige Wettbewerbsposition führen kann, zeigt das Beispiel des weltweit größten Smartphoneherstellers Samsung. Auf dessen Geräten läuft Google Software, inklusive Appstore. Das ist zwar kostengünstig, es fehlt aber ein eigenes digitales Serviceportfolio (der Samsung-eigene App Store ist irrelevant), und damit der zentrale Teil digitaler Differenzierung und Wertschöpfung.[21] Damit konnten die Koreaner – trotz zweithöchsten R&D-Aufwendungen der Welt – zuletzt nur noch 9 Prozent der Industriegewinne auf sich vereinen. Apple dagegen stand in letzten Quartal mit seiner Kombination aus iPhone und iTunes-Store bei erstaunlichen 93 Prozent.[22] VW, der andere Produkthersteller neben Samsung an der Spitze der weltweiten Innovationsausgaben, dürfte diese Entwicklung genau verfolgen und daraus sein Schlüsse ziehen.
[1] Zur Definition vgl. Tatsuyuki Negoro | Satoshi Ajiro (2012): An Outlook of Platform Theory Research in Business Studies. IN: Waseda Business & Economic Studies.48, S. 1-29; Venkat Venkatraman | Omar A. El Sawy | Paul Pavlou | Anandhi Bharadwaj (2014): Theorizing Digital Business Innovation: Platforms and Capabilities in Ecosystems. SSRN Paper (http://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=2510111); Annabelle Gawer (2010): Towards a General Theory of Technological Platforms. (http://www2.druid.dk/conferences/viewpaper.php?id=501981&cf=43)
[2] Vgl. Charles Stabell | Øystein Fjeldstad (1998): Configuring Value for Competitive Advantage: On Chains, Shops and Networks. IN: Strategic Management Journal 19. S. 413-437.
[3] Gabriel Bitran | Paolo F. Bassetti | Gary M. Romano (2003): Supply Chains and Value Networks: The Factors Driving Change and their Implications to Competition in the Industrial Sector. IN: MIT Sloan II (3), (http://ebusiness.mit.edu/research/Bitran_SupplyChain.pdf)
[4] Joeri Mol | Nachoem Wijnberg | Charles Carroll (2005): Value Chain Envy: Explaining New Entry and Vertical Integration in Popular Music. IN: Journal of Management Studies, 42 (2), S. 251–276.
[5] Vgl. Dal Yong Yin (2015): Digital Platforms, Imperialism and Political Culture. New York; Dal Yong Yin (2013): „The Construction of Platform Imperialism in the Globalization Era.” Triple C: Communication, Capitalism & Critique. Open Access Journal For a Global Sustainable Information Society 11(1), S. 145-172 (http://www.triple-c.at/index.php/tripleC/article/viewFile/458/446)
[6] Vgl. Annabelle Gawer | Michael Cusumano (2014): Industry Platforms and Ecosystem Innovation. IN: Journal of Product Innovation Management 31, 3. S. 417-433.
[7] Global Top 100 Companies by Market Capitalization, March 2015, PWC (http://www.pwc.com/gx/en/audit-services/capital-market/publications/assets/document/pwc-global-top-100-march-update.pdf)
[8] Brandz – Top 100 most valuable global brands 2015, Millward Brown, 2015, (https://www.millwardbrown.com/BrandZ/2015/Global/2015_BrandZ_Top100_Chart.pdf)
[9] Andrea Rungg: Wertvollster Konzern in Experimentierlaune – Kann Apple auch Auto?, Manager Magazin 21.02.2015, (http://www.manager-magazin.de/unternehmen/it/kann-apple-auch-auto-a-1019803.html)
[10] Vgl. Susanne Preuß: Daimler vor der Revolution, Die Digitalisierung der Welt wird vor den Werkstoren von Mercedes nicht haltmachen. IN: FAZ, 30.3.2015.
[11] Vgl. 5 Reasons Why Apple Buying Tesla Makes Sense, 6.2.2015, Nasdaq.com, (http://www.nasdaq.com/article/5-reasons-why-apple-buying-tesla-makes-sense-aapl-tsla-cm441503)
[12] Vgl. Henry Chesbrough (2011): Open Service Innovation: Rethinking your business to grow and compete in a new era. San Francisco. Vgl. auch Henry Chesbrough (2011): “Open Services Innovation: Rethinking Your Business to Compete and Grow in a New Era – Presentation to CIMIT” (http://www.cimit.org/images/events/ciw102511/henrychesbrough_102511.pdf)
[13] Vgl. Daniel Dilger (2013): Why iOS in the Car is a very big deal for Apple. IN: Apple Insider, 27.7.201 (http://appleinsider.com/articles/13/07/27/editorial-why-ios-in-the-car-is-a-very-big-deal-for-apple)
[14] Vgl. Evangelos Simoudis (2015).
[15] Vgl. Reuters: iCar soll 2020 in Produktion gehen, Manager Magazin, 20.2.2015 (http://www.manager-magazin.de/unternehmen/it/apple-will-auto-produktion-2020-starten-klage-wegen-abwerbung-a-1019456.html);
Volvo, Continental und ZF zur Kooperation mit Apple bereit, Golem.de, 9.3.2015, (http://www.golem.de/news/icar-volvo-continental-und-zf-zur-kooperation-mit-apple-bereit-1503-112827.html)
[16] „Es werde sicherlich nicht so sein, dass Apple nur ein weiterer Autohersteller im Markt sein will. ‚Sie haben immer Software, Services und Hardware zusammengebracht. Und schaffen damit für den Kunden ein geschlossenes System.‘“ Andrea Rungg: Wertvollster Konzern in Experimentierlaune (http://www.manager-magazin.de/unternehmen/it/kann-apple-auch-auto-a-1019803.html)
[17] Zitiert nach: Audi überholt BMW, denkt aber schon an Google und Apple – Die VW-Marke will beim pilotierten Fahren vorn sein; FAZ 11.3.2015.
[18] Michael Porter | James Heppelmann (2014): How Smart, Connected Products Are Transforming Competition. IN: Harvard Business Review 11 2014 (https://hbr.org/2014/11/how-smart-connected-products-are-transforming-competition)
[19] Vgl. Stephan Dörner, Mit Fahrzeugdaten werden bald Milliarden gemacht. Autohersteller und IT-Giganten wie Apple und Google ringen um die Hoheit über Fahrzeugdaten. Es geht um ein milliardenschweres Geschäft. Die deutschen Premiumhersteller könnten das Nachsehen haben, Die Welt, 11.6.2015; (http://www.welt.de/wirtschaft/article142298444/Mit-Fahrzeugdaten-werden-bald-Milliarden-gemacht.html)
[20] Vgl. Melanie Swan (2015): Connected Car: Quantified Self becomes Quantified Car. IN: Journal of Sensor and Actuator Networks 4, 2015. S. 2-29.
[21] Interessant in diesem Zusammenhang auch die Analyse der Fallstudie Symbian Ltd. durch Chesbrough et. al. und deren Schlussfolgerungen, vgl. Henry William Chesbrough | Wim Vanhaverbeke | Joel West (2014): New Frontiers in Open Innovation. Oxford, S. 74ff.
[22] Zahlen kombinieren alle Gewinne und Verluste der Industrie, Je Ausschnitt Abweichungen von 100% durch Nichtberücksichtigung von Verlusten; Vgl. Jay Yarow: Apple is taking 93% of the profits in the smartphone industry now, Business Insider UK, Tech, 9.2.2105; (Vgl.http://uk.businessinsider.com/apple-is-taking-93-of-the-profits-in-the-smartphone-industry-now-2015-2?r=US&IR=TM#ixzz3gRAvzkIU); Mark Sullivan (2015), Perfect storm: How Apple vacuumed up all of the profit in the smartphone business. IN: Venture Beat (http://venturebeat.com/2015/02/09/perfect-storm-how-apple-vacuumed-up-all-of-the-profit-in-the-smartphone-business/)