Die im vorherigen Kapitel dargestellte Interessenlage der beteiligten Akteure könnte zu der Schlussfolgerung führen, dass die Hausvernetzung per se kein praktikables Konzept sei. Spätestens hier ist es notwendig, den Einfluss von Technologien und Innovationen auf das Zusammenspiel der beteiligten Akteure genauer zu betrachten. Die Hausvernetzung wird momentan massiv durch neue Vernetzungsplattformen umgestaltet, die sowohl Bauherren, Architekten und insbesondere die Gewerke vor neue Herausforderungen stellen. In der Auseinandersetzung zwischen Traditionalisten einer etablierten Technologie – dem BUS-Standard – und der Herausforderung durch einen neuen Standard – TCP/IP – zeigt sich in klassischer Weise das „Innovator’s Dilemma“: Eine scheinbar unterlegene Technologie wird von etablierten Marktteilnehmern lange als Standard abgelehnt – und verändert dann in kürzester Zeit die Spielregeln des Marktes.
Vom BUS-Standard…
Die ab Ende der 80er Jahre vorangetriebene Hausvernetzung basierte auf der sogenannten BUS-Technologie für elektrische Installationstechnik und der Gebäudetechnik. Dieser Standard garantierte die Kompatibilität und Interoperabilität der verschiedenen Geräte und Systeme unterschiedlicher Hersteller aus vielen Bereichen, nicht nur der Elektroinstallationstechnik, sondern auch aus anderen Bereichen wie Klima und Lüftung oder Hausgeräte (zum Beispiel Herde). Man hatte erkannt, dass die Markteinführung von herstellerspezifischen Systemen einer breiten Marktdurchdringung im Wege stehen würde und den Bauherren die unterschiedlichsten proprietären „Standards“ und „Systeme“ bescheren würde. Führende Hersteller der elektrischen Installationstechnik schlossen sich 1990 im Rahmen der European Installation BUS Association (EIBA) (Gründungsmitglieder waren Berker, Jung, Gira, Merten und Siemens) und später der KNX Association (KNX-Standard) mit der Zielsetzung zusammen, einen Standard in den Markt einzuführen.
Nachdem erste Produkte gemäß diesem Standard 1991 am Markt angeboten wurden, sind es heute nahezu 4000 Produktgruppen mit einem Vielfachen an unterschiedlichen Produkten von über 200 Firmen. Diese Produkte decken die verschiedenen Gewerke und Anwendungen im Gebäude unter Wahrung der Austauschbarkeit der Produkte ab, sodass sie in einer mit dem KNX ausgeführten Anlage zusammenwirken können.
KNX ist ein offener Weltstandard für Haus- und Gebäudeautomation. Geregelt wird dies in Europa in der EN 50090. Die Standardisierung durch ISO ist als Standard ISO/IEC 14543-3 erfolgt. Neben diesem vor allem in Europa verbreiteten Standard traten mit LON und BACnet zwei weitere, eher aus dem amerikanischen Umfeld stammende Standards sowie eine Vielzahl proprietärer Systeme. Allen oben genannten Standards und Systemen ist gemeinsam, dass sie durch ihr Alter mit kabelgebundener Verbindungstechnik begonnen haben, wodurch sich ein Schwerpunkt auf dem Neubau-Sektor ergab.
… zum Internet-Standard
„Das Internet“ hat auch die Hausvernetzung nachhaltig beeinflusst. Zum einen auf der Nachfrageseite: Durch die zunehmende Durchdringung des Internets im privaten Umfeld steigt der Bedarf der Kunden an vernetzten Lösungen. Eine aktuelle Umfrage von TNS Emnid im Auftrag des Elektronikhändlers reichelt.de zeigt, dass das Interesse an „Home Automation“ wächst[1]. 55 Prozent der Deutschen kann mit dem Begriff Home Automation etwas anfangen. 81 Prozent der Befragten, die die Technik noch nicht verwenden, sind stark interessiert. Sie können sich vorstellen, Home Automation zu nutzen oder sie sind sich ganz sicher, dies künftig zu tun.
Zum anderen auf der Anbieterseite: Der TCP/IP-Standard hat dafür gesorgt, dass Hausvernetzung zu einem wesentlich umfassenderen Konzept geworden ist. Es geht um die generelle Verbindung und Kommunikation von Geräten der Haushalts- und Unterhaltungselektronik, Personal Computern, Peripheriegeräten sowie Unterstützungs- und Überwachungsfunktionen im Bereich Gesundheit und Komfort. Ein „Smart Home“ ist somit mehr als eine Ansammlung einzelner intelligenter Geräte: [2]
- Die Bedürfnisse der Bewohner werden durch eine Vielzahl von Sensoren und smarten Geräten erfasst, die eine intuitive Ansteuerung ermöglichen.
- Die aufgenommenen Informationen werden unter Berücksichtigung des aktuellen Zustandes und der Antizipation potenzieller Zustände verarbeitet.
- Auf Grundlage der Information werden Entscheidungen getroffen und umgesetzt. Hierzu dient ein Connected Home Netzwerk, welches ein simples und sicheres Zusammenspiel der Geräte aus den Bereichen der Unterhaltungselektronik (CE), der Informations- und Kommunikationstechnik (ITK), Elektrohaushalt (Herd, Kühlschrank, etc.) und Haustechnik (Alarmanlagen, Heizungs- und Lichtsteuerung, etc.) über Schnittstellen, Software etc. mit Hilfe von drahtgebundenen bzw. drahtlosen Technologien ermöglicht.
Besonders relevant für die Hausvernetzung ist die Etablierung drahtloser Protokolle (WLAN, Bluetooth, ZigBee), da diese umfangreiche Baumaßnahmen (Verkabelung) überflüssig machen. Insgesamt ergibt sich das Bild einer disruptiven Innovation, die bisherige Geschäftsmodelle in Frage stellt. BUS-Standards können zwar mit Gateways und Internet-Routern in die neue IP-basierte Infrastruktur integriert werden. Klar ist aber, dass KNX und andere BUS-Systeme speziell im Nachrüstmarkt nicht die technische Grundlage der neuen Hausvernetzungsplattformen werden.
[1] http://www.gulli.com/news/25644-neue-studie-home-automation-vor-dem-durchbruch-2015-02-20
[2] Die folgenden Definitionen stammen aus dem „Weißbuch zur Normungs-Roadmap Smart Home + Building“, das der Autor Im April 2012 als Editor (vielleicht eher „Herausgeber“?) für den VDE zusammengestellt hat.