Rechtsetzung erfolgt primär in Form eines nationalstaatlichen Prozesses. Allenfalls für den Bereich der Europäischen Union besteht ein supranationaler Ansatz in Form eines einigermaßen vereinheitlichten Rechtsregimes, soweit die EU einheitliche Regelungen schafft oder zumindest eine Harmonisierung des nationalen Rechts vorgibt. Dies kann durchaus als Errungenschaft bezeichnet werden, die Folge und Ausprägung des Binnenmarktprinzips ist: Mit einem freien Raum des Handelsverkehrs und des Güteraustauschs sind gravierende, aus unterschiedlichen Rechtsordnungen abzuleitende Marktverzerrungen eben nicht vereinbar.
Digitale Plattformen wenden sich aber darüber hinaus auch an internationale Adressaten. Das „Cross-Border-Geschäft“ wird daher der Regelfall sein.[1] Deshalb kann nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass die mit der Einrichtung und Nutzung digitaler Plattformen verbundenen Geschäfte deutschem bzw. EU-Recht unterworfen sind. Dies legt die Diskussion nahe, inwieweit für digitale Plattformen ein internationaler Rechtsrahmen geschaffen werden sollte.
Praktische Auswirkungen hat dies zum Beispiel bei der Frage, welches Gericht für die Entscheidung eines Rechtsstreits zuständig ist und nach welchem nationalen Recht dieses Gericht den Rechtsstreit entscheiden muss.
Das anwendbare Recht selbst richtet sich unter Umständen nach dem Erfüllungsort, also nach dem Ort, in dem eine Vertragspartei die ihr obliegende Leistung erbringen soll. Dies kann insbesondere bei der Geltendmachung von Leistungspflichten gegenüber außerhalb der EU ansässigen Plattformteilnehmern zu weiteren Schwierigkeiten führen.
Weitere anspruchsvolle Rechtsfragen ergeben sich, wenn Rechte von Plattformakteuren betroffen sind, ohne dass dies in Zusammenhang mit einer Vertragsbeziehung steht. Zu denken ist insbesondere an Verletzungen des Urheberrechts oder den Diebstahl von Daten durch Dritte.
Entsprechende Haftungsfragen stellen sich, wenn Dritte bei der Verwendung von Plattformen geschädigt werden. Als Beispiel möge eine smart überwachte Spülmaschine dienen, bei der auf Grund eines Programmfehlers Wasser ausläuft und in der darunter liegenden Wohnung ein Wasserschaden entsteht. An wen kann sich der geschädigte Nachbar wenden? Es kommt eine Vielzahl von möglichen Anspruchsgegnern in Betracht: Der Eigentümer der Maschine, der Hersteller, der Lieferant, der Smart-Überwacher, ein Plattform-Betreiber, womöglich der Programmierer usw.
Für sämtliche derartiger Konstellationen enthält das geltende Recht jedoch schon im Grundsatz Regelungen. Hierbei sind zwei Regelungsschichten zu unterscheiden:
Zum einen das sogenannte Internationale Privatrecht bzw. Kollisionsrecht. Aufgabe des Internationalen Privatrechts ist es, zu ermitteln, nach welcher nationalen Rechtsordnung, ggf. einschließlich des EU-Rechts, ein Rechtskonflikt gelöst werden muss. Das Internationale Privatrecht selbst ist aber wieder nationales bzw. EU-Recht (vor allem die so genannten Rom-I‑[2] und Rom‑II‑ [3] Verordnungen) und enthält hierzu Verweisungsnormen.[4] Entsprechendes gilt für das Internationale Zivilverfahrensrecht, das das gerichtliche oder auch behördliche Verfahren in Fällen mit Auslandsbezug regelt, insbesondere Fragen der gerichtlichen Zuständigkeit.[5] Die geltenden kollisionsrechtlichen Bestimmungen, vor allem Art. 4 Abs. 1 der Verordnung 1215/2012/EU[6] bzw. §§ 12, 13, 17 der Zivilprozessordnung (ZPO), sind tendenziell eher beklagtenfreundlich. Im Falle eines Rechtsstreits müssen in der Regel die Gerichte am Wohnort bzw. Sitz des Beklagten angegangen werden.
Große Teile derartiger Kollisionsregelungen beruhen auf völkerrechtlichen Vereinbarungen zwischen Staaten (vgl. Art. 3 Nr. 2 EGBGB), zum Beispiel das „Wiener Kaufrecht“ (CISG).[7] Insoweit lässt sich häufig eben doch ein Bezug zu zwischen Staaten getroffenen, internationalen Abkommen herstellen. Allerdings ermöglichen derartige Abkommen zumeist keine kurzfristigen Klärungen rechtlich offener Fragen.
Angesichts dieses Befunds lässt sich nicht pauschal beantworten, ob die Entwicklung digitaler Plattformen automatisch und generell besondere internationale Regelungen bedingen würde. Als pragmatischer Ansatz könnte dienen, die sich bei der Nutzung digitaler Plattformen im Verlauf der Zeit herauskristallisierenden Einzelkonstellationen dahingehend zu analysieren, ob die geltenden deutschen oder EU-rechtlichen Bestimmungen einschließlich ihres gegebenenfalls auf internationale Vereinbarungen zurückführbaren internationalen Privat- bzw. Prozessrechts schon für befriedigende Lösungen sorgen, ob einseitige deutsche bzw. EU-rechtliche Anpassungen der Rechtsnormen hinreichen oder ob internationale Abkommen erforderlich sind, die unter Einbeziehung möglichst vieler Staaten für universelle Rechtsklarheit sorgen. Flexibel in dem Sinne, dass mit geringem zeitlichem Vorlauf rechtliche Regelungen geschaffen werden können, ist jedoch vor allem der nationale Gesetzgeber.
In der zweiten Regelungsschicht finden sich die (materiell-rechtlichen) Regelungen des jeweiligen nationalen Rechts, aus denen sich die Klärung der aufgeworfenen Rechtsfragen ergibt. Unterstellt, das Beispiel mit der smart überwachten Spülmaschine unterfiele deutschem Recht, wäre zu untersuchen, ob einem der genannten Adressaten eine schuldhafte Eigentumsverletzung oder jedenfalls eine schuldhafte Verletzung von Verkehrspflichten vorgeworfen werden kann. Die Feststellung, ob entsprechende Verkehrspflichten bestehen, ist – insbesondere bei sachlich großenteils neuen Handlungsbereichen wie den in Rede stehenden digitalen Plattformen – durchaus nicht ohne weiteres eindeutig. In der Praxis werden derartige Pflichten häufig erst im Nachhinein von Gerichten, ausgehend vom Deliktsrecht gemäß §§ 823 ff. BGB, formuliert.
Grundsätzlicher Ausgangspunkt bei der Feststellung von Verkehrspflichten ist, dass derjenige, der in seinem Verantwortungsbereich eine Gefahrenlage schafft (im Beispiel also zum Beispiel das Aufstellen Spülmaschine), Rücksicht auf die damit verbundene Gefährdung Dritter nehmen muss und diejenigen Vorkehrungen zu treffen hat, damit eine Schädigung Dritter möglichst verhindert wird.[8] Hiermit verbunden ist die grundsätzliche Problematik, dass dem Anspruchsgegner neben einer Verletzung von ihm obliegenden Verkehrspflichten auch ein Verschulden nachgewiesen werden muss; die Verkehrspflichten konkretisieren dabei den Sorgfaltsmaßstab.[9] Das Verschuldenskriterium dient dem an sich legitimen Ziel, dass niemand für einen Schaden aufkommen muss, „für den er nichts kann“.
Beide Aspekte stellen einen Geschädigten in der Praxis vor erhebliche Beweisschwierigkeiten. Für den potenziell Haftungsverantwortlichen stellt sich vice versa die Frage, wie er sich richtig verhalten muss, um sich nicht Haftungsverpflichtungen ausgesetzt zu sehen.[10] All dies legt konkretisierende Maßnahmen des Gesetzgebers nahe, um für ein rechtsicheres Umfeld zu sorgen, das die Entwicklung digitaler Plattformen nicht im Hinblick auf eventuelle Haftungsprobleme spürbar hemmt. Im Bereich des Straßenverkehrs (zum Beispiel selbststeuernde Fahrzeuge) wird etwa auf die verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung zurückgegriffen;[11] dieses Konzept erscheint wegen der hiermit verbundenen Haftpflichtversicherung aber nicht ohne weiteres auf die Nutzung und Auswirkungen digitaler Plattformen übertragbar.[12]
Auch im Bereich des materiellen Rechts verfügt der nationale Gesetzgeber über die größte – auch zeitliche – Flexibilität, neue, angepasste Rechtssätze zu schaffen, da er nicht auf internationale Koordinierungsprozeduren angewiesen ist.
[1] Vgl. Pichler, IN: Hoeren | Sieber | Holznagel, Multimedia-Recht (Fn. 8), Teil 25, Rn. 29.
[2] Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom I“), ABl. EG Nr. L 177, S. 6.
[3] Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“), ABl. EG Nr. L 199, S. 40.
[4] Vgl. Hohloch, IN: Westermann (Hg.), Ermann BGB-Kommentar, 14. Aufl. Köln 2014, Einl. Art. 3 – 47 EGBGB, Rn. 3.
[5] Vgl. Hohloch, IN: Westermann (Hg.), Ermann BGB-Kommentar (Fn. 20), Einl. Art. 3 – 47 EGBGB, Rn. 1.
[6] Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. EU Nr. L 351, S. 1 ff. (http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2012:351:0001:0032:de:PDF, abgerufen am 6. Mai 2015).
[7] Vgl. Hein, IN: Säcker | Rixeger (Hg.), Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 10, 6. Aufl. München 2015, Art. 3 EGBGB, Rn. 168.
[8] Vgl. Sprau, IN: Palandt (Hg.), BGB, 74. Aufl. München 2015, § 823, Rn. 46.
[9] Vgl. Sprau, IN: Palandt (Hg.), BGB (Fn. 25), § 823, Rn. 45.
[10] Vgl. zu Gefahrsteuerungsfunktion von Verkehrspflichten Lange | Schmidbauer, IN: Herberger | Martinek | Rüßmann u.a. (Hg.), jurisPK-BGB, 7. Aufl. Saarbrücken 2014, § 823 BGB, Rn. 85.
[11] Vgl. Lutz, Autonome Fahrzeuge als rechtliche Herausforderung, NJW 2015, 119.
[12] Vgl. Bräutigam | Klindt: Industrie 4.0, das Internet der Dinge und das Recht, NJW 2015, 1137, 1138.