Die Folgen der Plattformisierung sind in der verbraucherpolitischen Debatte bislang nur ansatzweise systematisch thematisiert worden. Dies ist umso bedauerlicher, als dass eine Inanspruchnahme verbraucherpolitischer Instrumente „von dritter Seite“ – nämlich mit dem Zweck industriepolitischer Gestaltung – angestrebt wird.
Das Argument lautet dabei in etwa so: Deutschland bzw. Europa habe „die erste Halbzeit der Digitalisierung“ – den Kampf um den Aufbau von B2C-Plattformen – verloren. Man müsse nun dafür sorgen, dass man ein „level playing field“ schaffe – hierzu seien insbesondere Datenschutz- und Verbraucherschutzregulierung geeignet, da man so ausländische Konzerne auf ein anderes Regulierungsniveau zwingen könne. Verbraucherschutz und Datenschutz spielen hierbei eine symbiotische Rolle. Gerd Billen, Staatssekretär im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, erklärte jüngst, „Verbraucherrechte dürfen nicht durch große Internet-Plattformen oder neue digitale Geschäftsmodelle ausgehebelt werden. Das Sammeln, Auswerten und Verknüpfen von Verbraucherdaten im Internet ist zu einem lukrativen Markt geworden. Häufig geschieht dies ohne Wissen oder Zustimmung der betroffenen Nutzer. Wir brauchen daher endlich ein einheitliches europäisches Datenschutzrecht, das Verbrauchern ein hohes Schutzniveau garantiert – auch und gerade gegenüber weltweit agierenden Internetkonzernen.“[1]
Die Monopoldebatte deutet das symbiotische Verhältnis von Industriepolitik und Verbraucherschutz an: Im Zentrum der Beobachtung stehen neue Geschäftsmodelle, die zur Entstehung starker Marktstellungen führen können. Gefragt, welche Mittel es im Kampf gegen Monopole gäbe, lautet die Antwort der Bundesregierung, dass „mögliche Handlungsoptionen das wissenschaftlich bisher noch nicht aufgearbeitete Zusammenspiel der Wettbewerbs-, Datenschutz- und Verbraucherschutzproblematik betreffen könnten“ [2] – der Verbraucherschutz als ein Schwert im Kampf gegen Monopole.
Die Debatte unter dem Stichwort „Arbeit 4.0“ fokussiert auf die Rolle des Menschen bei der Erstellung von Angeboten auf Plattformen. Die Digitalisierung führe dazu, dass es kaum noch Tätigkeiten gäbe, die nicht durch Roboter oder automatisierte Systeme erledigt werden. Mehr noch, die Kunden werden „zum Mitmachen gezwungen“. Der Kunde muss selbst ran: beim Pakete schleppen, Geräte installieren und Produkte zusammenbauen.[3] Es heißt: Hier müssen Verbraucherschutz, Wettbewerbs-, Gesellschafts- und Arbeitsmarktpolitik an einem Strang ziehen[4] – auch hier soll unter anderem der Verbraucherschutz zur Erhaltung des Status Quo dienen.
Eine Lösung für das Dilemma scheinen Verbraucherschützer im Marktwächter Digitale Welt[5] gefunden zu haben. Er soll Erkenntnisse über die tatsächliche Lage der Verbraucherinnen und Verbraucher liefern, sowie ein Frühwarnsystem ermöglichen. Auf der Grundlage von Verbraucherbeschwerden, empirischen Untersuchungen und perspektivisch einem interaktiven Onlineportal soll der Marktwächter das leisten, was Aufsichts- und Regulierungsbehörden bislang zur Aufgabe hatten. Diese Aufgabe wird also nun in Teilen an die Verbraucherzentralen ausgelagert, beziehungsweise der Marktwächter soll sie „bei ihrer Arbeit unterstützen“, was faktisch die Grenzen zwischen Exekutive und Zivilgesellschaft auflöst.
Ob diese Maßnahme zielführend sein wird oder nicht, es bleibt grundsätzlich zu bedenken, dass sich Innovationen, die neuen Geschäftsmodellen zugrunde liegen, nur durchsetzen, wenn sie einen Mehrwert liefern. Wenn Verbraucher diesen Mehrwert nach Abwägung der neuen Balance aus Kosten und Nutzen beziehungsweise Einsatz und Ertrag nicht sehen, dann werden neue Angebote auch keinen Markt finden.
[1] http://www.bmjv.de/SharedDocs/Kurzmeldungen/DE/2015/20150508_Konferenz_Verbraucherschutz.html.
[2] http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/18/045/1804599.pdf.
[3] 2013, Oxford-Wissenschaftler Carl Frey und Michael Osborne in ihrer Studie „Future of Employment“.
[4] http://www.wiwo.de/unternehmen/industrie/industrie-4-0-schoene-neue-arbeitsteilung/11651250.html.
[5] http://www.bmjv.de/SharedDocs/Kurzmeldungen/DE/2015/20150326_Marktwaechter.html.