Angesichts dieser sehr durchwachsenen Bilanz auf der einen und der großen strategischen Relevanz digitaler Plattformen für die deutsche Wirtschaft auf der anderen Seite steht die Politik vor einem echten Dilemma. Was aber sind nun die Handlungsoptionen für eine aktive Förderung digitaler Plattformen? Klar ist, dass ein einfaches „Aufbohren“ der bisherigen Ansätze wenig vielversprechend ist. Deswegen muss man die Frage stellen, ob die auf der CeBIT 2015 verkündete „Neuausrichtung“ der Industrie 4.0-Initiativen erfolgversprechend sein kann.[1] Die sehr komplexen Strukturen der neuen Dialogplattform deuten darauf hin, dass zumindest die Geschwindigkeit ein Problem werden wird. Unklar bleibt auch, welche Rolle sich die beteiligten Ministerien in dem nun angestoßenen Programm selbst zurechnen. Während eine Befassung mit den Auswirkungen von Industrie 4.0 auf den Arbeitsmarkt und die Sozialsysteme zwar richtig und dringend ist, bedeutet die Kombination von umsetzungsorientierten Projekten und politisch ausgerichteten Begleitprogrammen zusätzliche Komplexität. Insbesondere im Vergleich zum IIC fällt diese Überfrachtung auf. Hier wäre wohl weniger mehr gewesen.
Wir regen deswegen an, die vorhandenen Strukturen und Förderprogramme anhand von vier Eckpunkten zu prüfen:
Erstens: Der in der sozialen Marktwirtschaft angelegte Fokus auf die Rahmenbedingungen für wirtschaftliches Handeln anstelle der direkten „industriepolitischen“ Einmischung scheint auch im Plattform-Zeitalter aktuell zu sein. Digitale Plattformen sind komplexe Unterfangen – es ist nicht ersichtlich, warum der Staat ausgerechnet hier über mehr Wissen und strategische Expertise verfügen sollte als die Marktteilnehmer. Zur Gewährleistung innovationsfördernder Rahmenbedingungen gehört vor allem eins: Keine protektionistischen Maßnahmen für solche Geschäftsmodelle ergreifen, die durch digitale Plattformen herausgefordert werden! Solche protektionistischen Maßnahmen würgen Innovationen ab – und zwar insbesondere in Deutschland. Die Verhinderung des Protektionismus wird in der Praxis eine höchst anspruchsvolle Aufgabe sein, da die durch digitale Plattformen hervorgerufene Disruption in vielen Märkten zahlreiche Verlierer schaffen wird. Es ist verlockend, diesem Ruf nach Schutz vor allzu viel Disruption zu erliegen. Der Konflikt zwischen Airbnb und dem Hotelgewerbe oder die Auseinandersetzungen zwischen Uber und dem Taxigewerbe deuten darauf hin, wie hart diese Konflikte zwischen Plattform und Pipeline sein können.
Klar ist: Der Wandel von der Pipeline zur Plattform kann nicht aufgehalten werden. Staatliche Interventionen sollten diesem Wandel stattgeben. So ist es im Fall Uber nicht ersichtlich warum langfristig ein besseres Service-Modell regulatorisch unterbunden werden sollte. Dass ein neues Service-Modell gegen geltendes Recht verstößt, darf nicht mit Verweis auf diese Tatsache zu einem Beharren auf dem Status Quo führen („Uber verstößt gegen deutsche Gesetze – deswegen muss man dem Taxigewerbe Recht geben“). Hier sollte dann wohl eher die Gesetze so angepasst werden, dass der eigentliche Schutzzweck des Gesetzes in der neuen digitalen Plattform-Welt Geltung behält.
Zweitens: Der Staat kann die Plattformisierung der Wirtschaft durch Open Data und durch Anreizgesetzgebung in regulierten Infrastrukturmärkten positiv fördern. Daten sind die Grundlage für die datenzentrischen Geschäftsmodelle einer digitalen Plattform. Dem Staat stehen zwei wirkungsvolle Hebel zu Verfügung: Zum einen die Bereitstellung von Daten aus seinem eigenen Bestand (Open Data), zum anderen die Einführung von Plattform-Anreizen vor allem im Bereich der Infrastrukturen. Letzteres ist bereits unter dem Stichwort der „intelligenten Netze“ im ersten Band des Kompendiums ausführlich diskutiert worden.[2] Viel getan hat sich in diesem Bereich jedoch nicht – hier fehlt nach wie vor eine gezielte Strategie seitens der öffentlichen Hand. Das Thema taucht in der „Digitalen Agenda“ der Bundesregierung nicht auf.[3] Auch in den Debatten zur Maut / e-Mobility oder „Smart Cities“ finden sich kaum strategische Ansätze zur Daten-Drehscheiben bzw. digitalen Plattformen.
Drittens: Die Plattformisierung ist ein Phänomen international vernetzter Märkte – deswegen brauchen wir eine internationale Perspektive. Es gehört zu den Besonderheiten der deutschen Diskussion zur digitalen Standortpolitik, dass sie den internationalen Kontext entweder weitestgehend ausblendet (s. Nationaler IT-Gipfel) oder ihn als „Nullsummenspiel“ wahrnimmt. Letzteres ist insbesondere beim Thema „Industrie 4.0“ virulent. So wurde das Industrial Internet Consortium (IIC), in dem sich neben zahlreichen internationalen Firmen auch Bosch, Siemens, SAP, Infineon oder die TU Darmstadt engagieren, vor allem als direkte Konkurrenz zu „Industrie 4.0“ wahrgenommen.[4] Ein pragmatischer Ansatz hätte hier darauf gesetzt, möglichst frühzeitig viele deutsche Unternehmen mit dem IIC in Verbindung zu bringen – insbesondere für KMU hätte man hier eine Art IIC-Kontakt-Büro in Deutschland etablieren können.
Viertens: Das Instrumentarium der direkten Forschungsförderung sollte sich auf die Errichtung eines Experimentierfeldes konzentrieren, unter Beteiligung von Unternehmen. Das Experimentierfeld dient als Anschauungsbeispiel dafür, technische Möglichkeiten in einem technischen Anwendungsfall zu prüfen. Das IIC hat mit den „Testbeds“ gezeigt, dass dies ein vielversprechendes Modell ist. Das Experimentierfeld könnte entsprechenden Mehrwert sichtbar machen und wäre gleichsam ein Anlaufpunkt für andere Player (Wirtschaft und Wissenschaft). Auch könnte das Experimentierfeld die Grundlage des Versuchs sein, ein Wachstum der Unternehmensgröße zu initiieren.
[1] Vgl. http://www.bmwi.de/DE/Presse/pressemitteilungen,did=696160.html.
[2] Vgl. Ansgar Baums (2013): Neue Infrastrukturpolitik: Vom Status Quo zu Intelligenten Netzen. IN: Ansgar Baums | Ben Scott (Hg): Kompendium Digitale Standortpolitik – Vom 1×1 zum 3×3. Berlin. S. 17-26 (http://plattform-maerkte.de/wp-content/uploads/2014/09/kompendium_teil1-1.pdf).
[3] Vgl. http://www.digitale-agenda.de/Webs/DA/DE/Home/home_node.html.
[4] Vgl. Ansgar Baums (2015): Ein Nullsummenspiel ohne Gewinner. (http://plattform-maerkte.de/nullsummenspiel-ohne-gewinner/).